Ein Spaziergang oder eine Radtour am nördlichen Ufer der Insel Reichenau bietet Ende Mai und Anfang Juni eine besondere Attraktion. Die Streuwiesen, die von der BUND Ortsgruppe Reichenau gepflegt werden, stehen jetzt in voller Blüte und bieten einige botanische Rari- täten. Im Gebiet Zellele findet man die leuchtend gelbe Wasser-Schwertlilie (Iris pseudocaris) neben der hell- violetten Kuckucks-Lichtnelke.

Das große Pflegegebiet Ried Gießen hat sich seit Beginn unserer Pflegemaßnahmen am schönsten entwickelt. Hier mischt sich im Frühsommer ein blaues Blütenmeer ins Grün des Pfeifengrases. Tausende blauvioletter Blüten der Sibirischen Schwertlilie stehen für kurze Zeit in voller Blüte. Im Mai und Juni trägt die Schwertlilie auf einem 50 bis 100 Zentimeter hohen Stängel eine bis drei filigrane, blauviolette Blüten. Gerade die riesige Zahl dieser stark gefährdeten und daher auch geschützten Pflanze im Ried Gießen bestätigt den Sinn und belohnt die Anstrengungen der Riedpflege-Einsätze.

Die neu formierte BUND-Ortsgruppe Reichenau suchte nach ihren engagierten Einsätzen zur Erhaltung der Biotope in Göldern neue Aktionsfelder. Inspiriert durch die Riedpflegemaßnahmen des damaligen DBV (Deutscher Bund für Vogelschutz, seit 1988 Naturschutzbund Deutschland NABU) im Wollmatinger Ried, suchte man auf der Reichenau nach geeigneten Flächen. Jochen Kunkel war mit den Gebieten Ried Gießen und Schiff- garten bestens vertraut, denn es waren die Bereiche, wo er als Reichenauer Junge seine Abenteuer erlebt hatte. Mit der praktischen Naturschutzarbeit wollte man den Reichenauern auch zeigen, dass man aktiv ist, anpacken kann und nicht nur „Heile-Welt-Träumer“ ist. Auch bot die Abnahme des Mähgutes eine Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit den Reichenauer Gemüsegärtnern.

Dabei stand der naturschützerische Gedanke im Vorder- grund. Bis um 1950 wurden die Bereiche von Landwirten als sogenannte Streuwiesen genutzt. Das Mähgut diente als „Ersatzstroh“ zur Einstreu im Stall sowie zur Humusanreicherung auf dem Feld. Ungedüngt und einmal pro Jahr geschnitten entwickelten sich magere, blumen- bunte Wiesen. Dies änderte sich mit der Abschaffung der Milchviehhaltung auf der Reichenau und dem zunehmenden Einsatz von Mineraldünger. Ohne traditio- nelle Bewirtschaftung verbuschten viele Streuwiesen. 

Seit 1986 ist die jährliche Riedpflege fester und zentraler Bestandteil der aktiven Umweltschutzarbeit der BUND- Ortsgruppe. Dabei ist der Einsatz aller BUND-Aktiven gefordert, um in der Zeit von Ende September bis Ende No- vember die drei Pflegegebiete Zellele, Schiffgarten und Ried Gießen mit einer Gesamtfläche von 1,7 Hektar zu mähen, das Mähgut abzutragen und auf Gemüsefeldern zu verteilen. Weil die Pflegegebiete nicht mit schwerem Gerät befahren werden dürfen, erfolgt das Mähen mit einem Balkenmäher. Bis 1989 wurde der Balkenmäher des DBV genutzt. Danach leistete der Agria 3300 von der Gemeinde Reichenau 13 Jahre lang gute Dienste, zumal wir ihn stets gut gewartet haben und kostenfrei nutzen konnten. Das Arbeitsgerät zeigte aber zunehmend Ver- schleißerscheinungen. Besonders das ständige Abfallen des Mähwerkes erschwerte die Mäharbeit erheblich.

Im Oktober 2003 gab der Gemeindemäher durch einen Riss im Motorblock entgültig seinen Dienst auf. In guter Zusammenarbeit mit dem NABU steht uns seither mit dem Bucher-Mäher ein weitaus komfortableres Gerät zur Verfügung. Diese Maschine hat einen Viertaktmotor und verfügt über eine Lenkung, was die Arbeit gerade in schwierigem Gelände erheblich erleichtert. 

Beim Abtragen des Mähgutes wandern die Grashaufen in Richtung Traktor. Es ist immer wieder ein imposantes Bild, wenn die eifrigen Helfer große und kleine Haufen- des gemähten Grases und Schilfes mit ihren Gabeln aus dem Gelände tragen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob nur ein paar Dutzend Halme oder ein halber Zentner über Kopf balanciert werden. 

Wenn dreißig Helfer - Kinder eingerechnet – ihren Beitrag leisten, bleibt immer noch Zeit genug für ein kleines Schwätzchen am Gabelstiel. Eigentlich wurden bislang nur wenige Riedpflegen wegen geringer Beteiligung zur Qual. Auch wenn wir schon bei Regen und Schnee im Gelände waren, ist es doch erstaunlich, dass der Pflegeeinsatz witterungsbedingt nur sehr selten verschoben werden muss.

Wir haben schon viele Versuche unternommen, den Abtransport des Mähgutes zu erleichtern. Immer wieder wurde der Einsatz von großen Planen getestet. Das Ziehen der beladenen Plane erwies sich aber immer wieder als schwere Schinderei. Das Mähgut war nach Abladen von der Plane zudem so ineinander verfilzt, dass man es nur mit großer Mühe mit der Gabel auf den Traktoranhänger aufladen konnte. Die Versuche, die weiten Wege mit Fahrrad- oder Autoanhängern zu erleichtern, wurden auch bald wieder aufgegeben.

Die Fahrt auf dem beladenen Anhänger zum Entladen auf ein Gemüsefeld ist für die Kinder immer die große Attraktion.

Geselliger Höhepunkt jeder Riedpflegeaktion ist das gemeinsame Mittagessen. Traditionell wird im Zellele und im Schiffgarten unter freiem Himmel gegrillt, während bei der Pflege im Ried Gießen das Essen im Sportlerheim oder im Strandbad stattfindet. Mit gegrillten Würsten, Gemüseeintopf oder Pizza kommen die Helfer wieder zu Kräften. Bisweilen kostet es dann viel Überwindung, den zweiten Teil der Arbeit in Angriff zu nehmen.

Auch nach 30 Jahren hat die Riedpflegearbeit für die BUND-Ortsgruppe Reichenau einen großen Stellenwert. Für viele unserer Mitglieder besteht die aktive Mitarbeit vor allem in der Teilnahme an den Pflegeaktionen. Ebenso ist es sehr erfreulich, dass immer wieder Nicht- Mitglieder an den Aktionen teilnehmen. Auf diesem Wege haben sogar schon einige den Weg zur Ortsgruppe gefunden und sind in den BUND eingetreten. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Pflege der Streuwiesen vom Land Baden-Württemberg unterstützt wird. Die Gelder für die Pflegemaßnahmen machen den größten Teil unserer Einnahmen aus.

Das Auftauchen des fleischfarbenen Knabenkrautes und des Lungenenzians in unseren Pflegeflächen zeigt die Wiederbelebung der alten Streuwiesen mit ihrer charakteristischen Flora und Fauna. Es zeigt aber auch, dass sich unsere Arbeit gelohnt hat. 

Lageplan der Pflegeflächen

Riedpflegeflächen auf der Insel Reichenau


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